Best-Practice-Beispiele

Beispiele aus der Praxis

Hier finden Sie einige vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales geförderte Best-Practice-Beispiele.

Beispiel 1: W.I.R. Wohnen Inklusiv Regensburg eG

 

Die Initiatorinnen und Initiatoren dieser Sozialgenossenschaft hatten als Eltern von Kindern mit mehrfachen, auch geistigen Behinderungen und hohem Unterstützungsbedarf eine genaue Vorstellung, wie ihre Kinder als Erwachsene am besten wohnen sollen. Deshalb wollten sie ein Wohnprojekt für eine solidarische Hausgemeinschaft schaffen, in der Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam mit Familien, Paaren und Singles, Jungen und Alten in einer Wohnanlage leben und füreinander da sind.

Im Juni 2013 haben sie die Sozialgenossenschaft „W.I.R. Wohnen Inklusiv Regensburg eG“ gegründet. Die Rechtsform Sozialgenossenschaft wurde gewählt, um diesem umfangreichen Projekt, das sehr hohe Investitionen erforderte, einen festen und verlässlichen rechtlichen Rahmen zu geben.

In den darauffolgenden Jahren wurde dann mit herausragendem ehrenamtlichem Engagement, bemerkenswerter Fachkenntnis und erheblichen finanziellen Eigenmitteln ein echtes Leuchtturmprojekt für gelebte Inklusion verwirklicht (Umfang gut 10 Millionen Euro). Seit Herbst 2017 leben dort nun geistig und mehrfach behinderte Menschen gemeinsam mit Singles, Paaren und Familien in einer barrierefreien Wohnanlage mit 47 Wohnungen auf dem Areal der ehemaligen Nibelungenkaserne in Regensburg und unterstützen sich gegenseitig. Die Wohnanlage ist in mehrfacher Hinsicht beispielhaft. Die Bewohnerinnen und Bewohner mit Unterstützungsbedarf wohnen in eigenen Apartments, die zu Wohngruppen mit je sechs Einheiten („Cluster“) zusammengefasst sind. Diese Wohneinheiten sind den individuellen Bedürfnissen hinsichtlich Pflege und Betreuung optimal angepasst. Dabei ist durch den Apartmentcharakter mit eigenem Bad die Privatsphäre garantiert. Gleichzeitig bieten die beiden Cluster-Wohnungen spezielle Gemeinschaftsräume für gemeinsames Wohnen mit Freunden. So haben 12 geistig- und mehrfach behinderte junge Menschen ein dauerhaftes Zuhause zum Wohlfühlen mit optimalen individuellen Unterstützungs- und Betreuungsmöglichkeiten gefunden. Auch den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Anlage stehen mehrere große Gemeinschaftsräume als Treffpunkte und Begegnungsorte zur Verfügung. Insgesamt konnte 40 % der Wohnfläche als geförderter Wohnraum realisiert werden

Weitere Informationen finden Sie auf der Website von „W.I.R. Wohnen Inklusiv Regensburg eG“.

Beispiel 2: SAPV Südfranken eG

Viele schwerstkranke Menschen mit einer unheilbaren Erkrankung wünschen sich, bis zum Ende ihres Lebens in ihrer gewohnten Umgebung zu Hause bleiben zu können. Eine adäquate ambulante Betreuung ist aber für die behandelnden Ärzte, die Pflegekräfte und die Angehörigen zuweilen mit sehr großen Herausforderungen verbunden. Bei einem komplexen Symptomgeschehen mit einer besonders aufwändigen Versorgungssituation kann der Wunsch nach dem Verbleib in der gewohnten Umgebung oft nur dann erfüllt werden, wenn eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) vor Ort angeboten wird.

Die kommunalen Klinikträger und die örtlichen Hospizvereine der Landkreise Roth und Weißenburg-Gunzenhausen wollten diese wichtige Hilfeleistung auch den betroffenen Patientinnen und Patienten vor Ort anbieten. Deshalb haben sie sich als gleichberechtigte Partner zusammengetan und die Sozialgenossenschaft „SAPV Südfranken eG“ gegründet. Ziel ist dabei in erster Linie die Linderung von Leid und Schmerzen sowie der Erhalt von Lebensqualität, Würde und Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten bis zuletzt. Die Familie und die Angehörigen werden eng in die Versorgung einbezogen und nach Kräften unterstützt.

Seit Januar 2018 sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SAPV Südfranken für die schwerstkranken Menschen und ihre Angehörigen in dieser überaus schwierigen Situation tätig. Mit viel Erfahrung, großem Einfühlungsvermögen und vorbildlichem Engagement helfen sie den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen mit Rat und Tat. Dabei sind sie bei Bedarf zu jeder Tages- und Nachtzeit verlässlich zur Stelle und nehmen sich viel Zeit für die Betroffenen.

Die Leistungen und Unterstützungen der SAPV Südfranken werden vor Ort hervorragend angenommen. Dabei hat sich gezeigt, dass es sowohl für die Kranken als auch für deren Angehörige sehr wichtig und beruhigend ist, in einer so außergewöhnlichen und herausfordernden Situation auf die Profis vom SAPV-Team vertrauen zu können. Denn das Wissen um eine verlässliche, hochqualifizierte und schnelle Hilfe gibt Sicherheit und bedeutet ein wichtiges Plus an Lebensqualität.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der „SAPV Südfranken eG“.

Beispiel 3: Spiegelfabrik Baugenossenschaft eG

Beim Wohnprojekt „Spiegelfabrik“ in der Fürther Oststadt soll ein Mehrfamilienhaus mit insgesamt 54 Wohneinheiten und zusätzlichen Gemeinschaftsräumen errichtet werden. Dabei wird die „Spiegelfabrik Baugenossenschaft eG“ über 17 Wohneinheiten verfügen. Die Initiatorinnen und Initiatoren wollen mit diesem Projekt nicht nur bezahlbaren Wohnraum schaffen. Vielmehr soll dort eine neue, intensive Form des Zusammenlebens verwirklicht werden, die durch gelebte Inklusion von Menschen mit Behinderungen, gelungene Integration von anerkannten Flüchtlingen und aktives Zusammenleben der Generationen zu mehr Lebensqualität für die gesamte Gemeinschaft führt. Dabei stehen die individuellen sozialen Anliegen und Belange der unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohner, die umfassende Teilhabe aller Menschen und der gute Zusammenhalt im Fokus.

Die Initiatorinnen und Initiatoren setzen sich mit großem persönlichem Engagement und profunder Fachkenntnis dafür ein, dass das angestrebte verlässliche soziale Miteinander der breit gefächerten, heterogenen Bewohnergruppen gelingt. Mit Hilfe eines umfassenden und fachlich fundierten Konzeptes zur sozialen Aktivierung und Vernetzung der Bewohnerinnen und Bewohner werden eine tragfähige soziale Infrastruktur und eine verbindliche Plattform des sozialen Zusammenwirkens und des bürgerschaftlichen Engagements geschaffen.

Außerdem wird durch das sehr umfassende Wohn- und Quartierskonzept das angrenzende Stadtviertel sozial und gesellschaftlich miteinbezogen. Die „Spiegelfabrik Baugenossenschaft eG“ wird zudem die Wohnanlage verwalten und sämtliche Aktivitäten und Nutzungen dauerhaft konzeptionell koordinieren. Auch ein Stadtteilquartiersbüro der Kommune mit einer sozialpädagogischen Teilzeitkraft soll in der „Spiegelfabrik“ angesiedelt werden. Das Konzept will zudem auch weitere Möglichkeiten für Kooperationen und Einbindungen der Stadt Fürth, sozialer Initiativen und sozialer Träger im Stadtteil aufzeigen.

Alle Bewohnerinnen und Bewohner des Projekts werden Mitglieder der Genossenschaft. Dabei bindet die Rechtsform der Sozialgenossenschaft die Mitglieder der Genossenschaft demokratisch in alle Entscheidungen mit ein und gibt dem Projekt eine langfristige und rechtssichere Struktur.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der „Spiegelfabrik Baugenossenschaft eG“.

Beispiel 4: Werkstatt für Barrierefreiheit eG

Bei der Sozialgenossenschaft „Werkstatt für Barrierefreiheit eG“ arbeiten Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache. Sie testen beispielsweise Gebäude, Texte oder Internetseiten auf Barrierefreiheit. Mit dem Wissensvorsprung aus eigener Betroffenheit und Erfahrung setzen sie sich in verschiedensten Bereichen dafür ein, die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung vor Ort zu verbessern. So können bei dieser Sozialgenossenschaft zum Beispiel Kommunen oder andere öffentliche Einrichtungen, aber auch private Unternehmen fachkundigen Rat und tatkräftige Unterstützung bei Fragen zur behindertengerechten Umgestaltung öffentlicher Räume bekommen.

Auch beim Thema „barrierefreier Tourismus“ ist die Sozialgenossenschaft sehr aktiv und hat für interessierte Unternehmen die Überprüfung von Hotels, Gaststätten und sonstigen touristischen Einrichtungen im Angebot. So wurde zum Beispiel das Ausflugsschiff „MS Kelheim“ von der „Werkstatt für Barrierefreiheit“ umfassend auf Rollstuhltauglichkeit und Barrierefreiheit geprüft und zertifiziert. Darüber hinaus stehen über dieses Schiff nun detaillierte Informationen für Menschen mit Hörbehinderung, gehörlose Menschen, Menschen mit Sehbehinderung, blinde Menschen sowie Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen zur Verfügung. Im Rahmen des Projektes „Abensblicke“ testet die „Werkstatt für Barrierefreiheit“ Informations- und Raststationen entlang des Radwanderweges am Flüsschen Abens. Dabei wird auch auf die barrierefreie Erreichbarkeit der Stationen großer Wert gelegt. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Prüfung von Texten in Leichter Sprache. Auch die barrierefreie Optimierung von Internet-Auftritten und Web-Seiten gehört zum Geschäftsfeld.

Mit den angebotenen Dienstleistungen werden Arbeitsfelder für Menschen mit Behinderung eröffnet. Langfristig will die „Werkstatt für Barrierefreiheit“ ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt erschließen. Mit bewundernswertem ehrenamtlichem Engagement und viel Herzblut setzen sich zahlreiche Unterstützer dieser Sozialgenossenschaft für dieses wichtige Ziel ein.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der „Werkstatt für Barrierefreiheit eG“.

Beispiel 5: MutMacherMenschen eG

Bei den „MutMacherMenschen eG“ aus Augsburg produzieren Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und Behinderungen hochwertige Produkte im Bereich Naturschutz (Nistkästen, Vogelfutter- und Wildbienenhäuser). Durch die hervorragende Qualität der Produkte und die kluge Ausrichtung am Markt (wenig erfolgreiche Produkte werden konsequent aus dem Sortiment genommen und durch „Verkaufsschlager“ ersetzt) konnte die Sozialgenossenschaft bereits zahlreiche Käuferinnen und Käufer von ihren Produkten überzeugen und auch schon Stammkunden gewinnen. So hat ein Großabnehmer die Artikel in sein Sortiment aufgenommen und verkauft sie erfolgreich weiter. Hinzu kommen Firmenkunden, die Artikel aus dem Angebot dieser Sozialgenossenschaft als Weihnachtspräsente verschenken.

Die Mitglieder der Sozialgenossenschaft erhalten durch ihre Tätigkeit die Möglichkeit, sich aktiv am Arbeitsleben zu beteiligen und das Gefühl, dazu zu gehören. Sie erbringen eine sinnvolle Leistung und können ihre Fähigkeiten, ihre Motivation und ihre oft hohe Qualifikation vielseitig einbringen. Dass die qualitativ hochwertigen Produkte am Markt und bei den Kunden so gut ankommen, ist natürlich für alle „MutMacherMenschen“ eine großartige Bestätigung - und gerade für Menschen mit psychischen Behinderungen sind solche Erfolgserlebnisse enorm wichtig.

Die Genossenschaft bietet einen geschützten Rahmen, in dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne äußeren Druck ausprobieren und die eigene Belastbarkeit testen können. Aber sie bietet auch einen Raum, um in einem arbeitstherapeutischen Ansatz wieder auf die üblichen Bedingungen am Arbeitsplatz vorzubereiten. So hat ein bereits wegen seiner Erkrankung verrenteter junger Mann durch seine Arbeit bei den „MutMacherMenschen“ wieder so viel Selbstvertrauen und Belastbarkeit entwickelt, dass er aus der Rente zurück auf eine Vollzeitstelle in seinem erlernten Beruf wechseln konnte.

Bei dieser Sozialgenossenschaft sind in allen Bereichen des Betriebes Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen mit eingebunden und beschäftigt. Eine wichtige Hilfe sind für diese Sozialgenossenschaft die überaus engagierten ehrenamtlichen Unterstützer, die mit viel Herzblut und voller Überzeugung mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der „MutMacherMenschen eG“.

Zukunftsinitiative Sozialgenossenschaften
Ralf Haupt

Portrait Ralf Haupt„Bereits die bayerischen Verfassungsväter wussten, dass Genossenschaften bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Sie haben den Auftrag festgeschrieben, den genossenschaftlichen Gedanken zu fördern. Gerade angesichts neuer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Herausforderung erlebt die Genossenschaftsform derzeit zu Recht eine Renaissance.”


Ralf Haupt
Sozial-, Ordnungs- und Umweltreferent Stadt Bamberg
Mitglied des Expertenrates "Sozialgenossenschaften - selbst organisierte Solidarität"